16. Juli 2023 / Allgemeines

«Ein Kampf wie nie zuvor»: Streik legt US-Filmbranche lahm

Von Los Angeles bis New York streiken Schauspieler und Drehbuchautoren für bessere Löhne und KI-Regulierung. Dreharbeiten liegen auf Eis. Und eine Premiere in Berlin muss ohne Stars auskommen.

Der mit seinen Schauspielkollegen solidarische Requisiteur Keith Fennelly streikt vor dem NBC-Hauptsitz in New York für bessere Vergütung.
von Luzia Geier, dpa

Linda Powell gehört zu den ersten, die sich am schwülen Freitagmorgen vor dem New Yorker Sitz des Streaming-Riesen Netflix am Broadway nahe dem Union Square eingefunden haben. Fotografiert werden möchte die Schauspielerin nicht, sprechen schon. Sie gehört zu denjenigen Mitgliedern der Schauspielgewerkschaft SAG-AFTRA, die seit Mitternacht streiken - die Verhandlungen mit dem Verband der TV- und Filmstudios AMPTP über bessere Vergütung und die Regelung des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI) waren zuvor gescheitert.

«Ich hatte gehofft, dass mit dem Streik der Drehbuchautoren schon genug Druck aufgebaut worden sei», sagt Powell, die mit am Verhandlungstisch saß. «Das war nicht der Fall». Nun mobilisiert die Gewerkschaft zum Streik: nicht nur in Los Angeles, sondern auch an anderen bedeutsamen Standorten für die US-Filmbranche, darunter New York und Atlanta im Bundesstaat Georgia.

Auswirkungen

Es ist der erste Doppelstreik von Schauspielern und Drehbuchautoren in den USA seit mehr als 60 Jahren. Der Betrieb dürfte landesweit auf unbestimmte Zeit still liegen. Der Streik ist vor und hinter der Kamera zumindest für alle gewerkschaftlich organisierten Schauspieler der mehr als 160.000 Mitglieder zählenden SAG-AFTRA verbindlich. Ihr gehören unter anderem auch Stuntleute und TV-Journalisten an.

Die Dreharbeiten zu zahlreichen Filmen wurden eingestellt, darunter «Deadpool 3» und die «Gladiator»-Fortsetzung. Auch etliche Serien sind betroffen. Außerdem dürfen Gewerkschaftsmitglieder ihre Arbeit nicht mehr bewerben. So musste die Deutschland-Premiere von «Barbie» am Samstag ohne Stars auskommen. Hauptdarstellerin Margot Robbie, ihr männliches Pendant Ryan Gosling und die Co-Stars America Ferrera, Issa Rae und Simu Liu sagten ihren Besuch in Berlin ab.

Obwohl viele Hollywood-Stars dem Arbeitskampf prominente Reichweite verleihen, allen voran Gewerkschaftspräsidentin Fran Drescher («The Nanny»), geht es im Kern um all diejenigen, die ihren Lebensunterhalt mit kleineren Nebenrollen oder als Statisten verdienen. Mitglieder von SAG-AFTRA qualifizieren sich ab einem jährlichen Einkommen von 26.000 US-Dollar (knapp 23 000 Euro) für die gewerkschaftliche Krankenversicherung. Ein Großteil erreicht diese Grenze aber schon lange nicht mehr.

Ursachen

Schuld ist laut Streikenden die Marktherrschaft von Streamingdiensten wie Netflix und Amazon Prime Video, deren Geschäftsmodell - anders als das der Fernsehsender - nur sehr geringe Tantiemen vorsieht. «Tantiemen haben sich einmal gelohnt», sagt Powell, die in drei Folgen der Netflix-Serie «House of Cards» eine fiktive US-Außenministerin spielt. «Viele Leute denken, wir sind alle Stars, aber wir kämpfen hier für diejenigen, die gerade so über die Runden kommen.»

Etwas weiter nördlich, vor dem NBC-Hauptquartier am Rockefeller Center, versucht eine Angestellte der hauseigenen Security-Firma, rund 50 Streikende und die anwesende Presse in einem eigens für den Streik abgezäunten Bereich zu halten. Inmitten des Trubels macht Keith Fennelly eine kurze Verschnaufpause. Bezahlung sei die eine Sache, erklärt der mit seinen Schauspielkollegen solidarische Requisiteur («The Marvelous Mrs. Maisel», «Billions»). Ihm gehe es aber auch «um Würde und das Handwerk als Künstler». Damit bezieht er sich auf den Aufstieg von KI.

Künstliche Intelligenz

Während immer intelligenter werdende Chatbots wie ChatGPT Angehörige der schreibenden Zunft um ihren Job bangen lassen, fürchten auch Schauspielende, dass KI ihr Abbild, ihre Stimme oder ihre Darbietungen ohne Zustimmung oder Entschädigung nutzen könnte. «Das ist so unmenschlich», sagt Fennelly und fügt hinzu: «Das ist ein Kampf wie nie zuvor.»

In diesen Kampf hat sich in der Mittagshitze am Times Square auch ein bekannter Straßenkünstler eingereiht: Auf der Gitarre begleitet der Naked Cowboy die Streikenden musikalisch. Verwunderte Touristen drehen sich um, machen Fotos. «Stand up, fight back», singt der spärlich bekleidete Mann mit Cowboyhut und -stiefeln in USA-Optik, der im echten Leben Robert John Burck heißt.

Der Naked Cowboy neben Streikenden: Es ist ein symbolträchtiges Bild dieses Disputs, bei dem sich viel Wut an die Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder der größten US-Medienkonzerne richtet. Kurz vor dem Scheitern der Gespräche hatte Disney-CEO Bob Iger die Forderungen der Gewerkschaft beim US-Fernsehender CNBC als «nicht realistisch» bezeichnet und vor den Kollateralschäden eines Streiks gewarnt. «Aufgrund der schieren Größe der Branche» würde dieser «Auswirkungen auf die Wirtschaft verschiedener Regionen haben», sagte Iger. Und: «Es ist eine Schande, es ist wirklich eine Schande.»

Nach Ansicht vieler Gewerkschaftsmitglieder haben Iger und andere den Bezug zum Alltag von Normalverdienenden verloren. «Von jemandem, der mehr als 20 Millionen Dollar pro Jahr verdient und mehrere Häuser besitzt, kann man nicht erwarten, dass er versteht, wie es ist, sich mit 26.000 Dollar abmühen zu müssen», sagt der Schauspieler Mehdi Barakchian im Telefongespräch über seinen Protest vor dem Disney-Hauptquartier im kalifornischen Burbank.

Zuschauerdaten

Ihn stört besonders, dass die Zuschauerdaten bei Streamingdiensten streng unter Verschluss gehalten werden. Eine Forderung von SAG-AFTRA ist deshalb auch, ein externes Datenunternehmen anzuheuern, um ein Modell für Tantiemen basierend auf dem Streaming-Erfolg von Filmen und Serien einzuführen. «Sie nehmen die Arbeit, die wir geleistet haben, sie wird millionenfach angesehen», klagt Barakchian, der in der ersten Szene des Netflix-Hits «You» einen «Mann aus Brooklyn mittleren Alters» spielt. «Und dann werden wir so bezahlt, als wenn es nur einmal benutzt worden wäre.»

Barakchian attestiert dem Protest trotz streikbedingt ausbleibender Zahlungen eine lange Ausdauer: «Sie denken, dass es uns erst jetzt weh tut. Aber die Realität ist: Es geht uns schon seit Jahren schlecht.»


Bildnachweis: © Laura Höring/dpa
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