10. Juli 2023 / Allgemeines

Europa Sommer 2022: Mehr als 60.000 hitzebezogene Todesfälle

Gerade vorbelasteten oder älteren Menschen kann Hitze schwer zu schaffen machen, bis hin zu einem vorzeitigen Tod. Im bisher wärmsten erfassten Sommer Europas gab es zigtausende solcher Sterbefälle.

Allein Deutschland hatte im Sommer 2022 laut einer neuen Studie 8173 Toten Hitzeopfer zu beklagen (Symbolbild).
von dpa

Mehr als 60.000 hitzebezogene Todesfälle hat es einer neuen Berechnung zufolge im Sommer 2022 in Europa gegeben, dem bisher heißesten Sommer auf dem Kontinent seit Beginn der Aufzeichnungen.

Deutschland hatte mit 8173 Toten die drittmeisten Hitzeopfer zu beklagen, nach Italien (18.010 Tote) und Spanien (11 324 Tote), wie ein Forschungsteam im Fachmagazin «Nature Medicine» berichtet. Auf die Einwohnerzahl gerechnet waren es hierzulande 98 Hitzetote pro eine Million Einwohner, damit steht Deutschland unter 35 europäischen Staaten auf Rang 13.

Hitzebezogene Todesfälle sind schwer zu erfassen

Die Gruppe um Joan Ballester vom Barcelona Institute for Global Health (ISGlobal) hatte die Werte über Datenanalysen und Computermodelle ermittelt. Hitzebezogene Todesfälle sind nicht ganz einfach zu erfassen. Denn Hitze als direkte Todesursache, etwa bei einem Hitzschlag oder einem Sonnenstich, wird eher selten angegeben - hierzulande in durchschnittlich nur 19 Fällen pro Jahr, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) kürzlich mitteilte.

Deshalb sind Mediziner und Statistiker auf die Auswertung von Todesfällen und den Vergleich zwischen heißen und weniger heißen Sommern angewiesen. Sterben in Wochen mit hohen Temperaturen mehr Menschen als in vergleichbaren Wochen in anderen Jahren, dann wird diese Übersterblichkeit als hitzebezogen angenommen. Zwar sind die meisten Hitzetoten an einer Vorerkrankung gestorben, doch die Hitze hat den Körper zusätzlich belastet.

Ballester und Kollegen stützen sich bei ihrer Analyse auf eine große Datenbasis: auf mehr als 45 Millionen Todesfälle zwischen Januar 2015 und November 2022 aus 823 zusammenhängenden Regionen, die über 543 Millionen Europäer in 35 Ländern repräsentieren. Die Daten stammen vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat), ergänzt um Daten nationaler Statistikbehörden. Die Anzahl der Todesfälle setzten die Forscher in Beziehung zu Temperaturanomalien, die als Unterschied zwischen gemessenen Temperaturen und Basistemperaturen definiert wurden. Die Basistemperaturen sind dabei Mittelwerte aus dem Referenzzeitraum 1991 bis 2020.

Der Analyse zufolge lagen die Temperaturen in Europa im Juni 2022 zwischen 0,78 und 2,33 Grad, im Juli zwischen 0,18 und 3,56 Grad und im August zwischen 0,91 und 2,67 Grad höher als die Basistemperaturen. Die höchsten Temperaturabweichungen gab es in Spanien und Südfrankreich. Spanien gehört mit 237 Hitzetoten pro eine Million Einwohner zu den am stärksten betroffenen Ländern, neben Italien (295), Griechenland (280) und Portugal (211). Frankreich verzeichnete die höchste Zahl hitzebezogener Todesfälle bei Menschen im Alter bis zu 64 Jahren (1007). Insgesamt lag Frankreich mit 73 Hitzetoten pro eine Million Einwohner eher im europäischen Mittelfeld.

Hitze vor allem für ältere Menschen gefährlich

Wo diese Daten verfügbar waren, ordneten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die hitzebezogenen Todesfälle Altersklassen zu. Im Sommer 2022 starben demnach 4822 Menschen im Alter von bis zu 64 Jahren durch Hitze, 9226 im Alter von 65 bis 79 Jahren und 36. 848 im Alter von 80 oder mehr Jahren. Das bestätigt, dass Hitze für ältere Menschen ein besonders großes Risiko darstellt.

Die Studienautoren fordern Politiker zum Handeln auf: «Angesichts des Ausmaßes der hitzebedingten Sterblichkeit auf dem Kontinent mahnen unsere Ergebnisse eine Neubewertung und Stärkung von Hitzeüberwachungs-Plattformen, Präventionsplänen und langfristigen Anpassungsstrategien an.» Sollten Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel ausbleiben, erwarten die Wissenschaftler eine mittlere hitzebezogene Sterblichkeitsbelastung von etwa 68.000 Todesfällen pro Sommer bis zum Jahr 2030, mehr als 94.000 Todesfällen bis 2040 und deutlich über 120.000 Todesfällen bis 2050.

Unterschiedliche Definitionen von «Hitze»

Matthias an der Heiden vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin zufolge stehen die Berechnungen der Studie auf einer soliden Basis. Dennoch hat er mit Kollegen nur 4500 Opfer der Folgen von Hitzewellen in Deutschland für das Jahr 2022 ermittelt. Den Unterschied zu den 8173 hitzebezogenen Todesfällen in der aktuellen Studie erklärt er unter anderem mit unterschiedlichen Definitionen von «Hitze»: Während das Team um Ballester eine Wohlfühltemperatur (thermisches Optimum) bei einem Wochenmittelwert von 17 bis 19 Grad annimmt, liegt diese in der RKI-Studie bei 20 Grad. An der Heiden warnt davor, Hitze als Problem zu unterschätzen. «In heißeren Ländern gibt es oft schon mehr Anpassungen an hohe Temperaturen als hierzulande.»

Die Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann von der Universität Augsburg erklärte: «Die Studie konfrontiert uns für den Hitzesommer 2022 mit alarmierenden Zahlen. Da Sommer wie diese die normalen Sommer sein werden, sind dringend weitere Anstrengungen erforderlich.» Die Erfassung hitzebedingter Erkrankungen stehe noch am Anfang, Baustruktur und Lebensweise seien noch nicht an die Hitze angepasst und viele Menschen unterschätzten die Gefahr. «Es wird Zeit, von der reinen Reaktion und Anpassung zu Resilienzstrategien zu kommen. Ein Hitzeschutzplan ist da nur ein Steinchen in einem großen Mosaik.»

Eckart von Hirschhausen, Moderator und Gründer der Stiftung Gesunde Erde Gesunde Menschen (GEGM), sagte: «Sommer – da hat man sich früher mal drauf gefreut. Heute wird mit jeder neuen Hitzewelle klarer, was wir für einen hohen gesundheitlichen Preis zahlen.» Die aktuelle Studie verdeutliche, wie dringend Hitzeschutzpläne nötig seien. «Diese Daten sind ein Weckruf für die Politik, Klimaschutz als Gesundheitsschutz ernst zu nehmen, schnellstens Emissionen zu senken und dringende Anpassungen für resilientere Gesundheitseinrichtungen zu finanzieren.»


Bildnachweis: © Felix Kästle/dpa
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