22. Mai 2022 / Allgemeines

Groß und mächtig: Warum Sprungtürme faszinieren

Freibäder haben wieder geöffnet. Wer schon einmal ganz oben auf einem Sprungturm stand - den Geruch von Chlor, Pommes und Sonnencreme in der Nase hatte - und nach unten gestürzt ist, vergisst das sein Leben lang nicht. Warum?

Ein Mann springt im Freibad vom Zehn-Meter-Turm.
von Jonas-Erik Schmidt, dpa

Eine Geschichte über Sprungtürme muss mit einem Aufstieg beginnen. Groß und mächtig steht er da, azurblau beschienen. Vier kalte, metallische Leitern sind zu besteigen, bis man die Welt von oben sehen kann. Und merkt, wie sich ganz langsam ein flaues Gefühl in der Magengegend ausbreitet.

Der Zehn-Meter-Turm im Stadionbad von Köln ist einer jener Orte, an die man sich ein Leben lang erinnert, wenn man einmal oben war - und vor allem fliegend wieder herunter gekommen ist. Vor fast 100 Jahren weihte hier noch Konrad Adenauer die erste Schwimm-Anlage ein. Seitdem haben sich unzählige Menschen mit Todesmut in den Augen ins Wasser gestürzt. Nun, im Sommer, geht es wieder los. In Köln, aber auch in vielen anderen Bädern der Republik.

Warum faszinieren uns Sprungtürme? Kurze Nachfrage am Beckenrand. Tom, 22 Jahre alt, ist gerade wieder aufgetaucht, um den Hals trägt er eine Kette mit einer Muschel. «Surfer-Vibe» nennt er das. «Dieses Gefühl, frei in der Luft zu sein, ein bisschen zu winken», sagt er, das sei das Tolle am Sprung. «Es kommt einem länger vor, als es ist.»

Der Sprung als Initiationsritus

Der Psychologe Simon Hahnzog sagt, schon das Freibad sei ein sehr besonderer Ort. Einer der wenigen, an dem sich verschiedene Gesellschaftsschichten vermischten, diese aber nicht sofort an Äußerlichkeiten zu erkennen seien. Den Sprungturm selbst könne man wiederum in eine Reihe mit der Taufe stellen. Er sei Ort eines Initiationsritus.

«Über den Sprungturm kann man einen gesellschaftlichen Status erlangen», sagt Hahnzog. «Die Botschaft ist: Du gehörst zu denen, die es sich trauen.» Der Vorteil am Turm: Der Übertritt in die Liga der Furchtlosen ist sofort für jedermann sichtbar. Wer auf dem Zehner steht, weiß alle Augen auf sich. Er ist eine Bühne des Lebens.

Selbst im hohen Alter lassen Erinnerungen daran Emotionen aufsteigen, mitunter auch nostalgische Wärme - zumindest wenn der Aufstieg mit einem Sprung endete, nicht in der Schmach des Wiederabstiegs.

Parallele Sinneseindrücke

«Emotionen werden gerne situationsspezifisch gespeichert», erklärt Hahnzog. Und in einem Freibad prasselten die Sinneseindrücke nur so auf uns ein - Chlor, Sonnencreme, Pommes. «Diese verknüpfen sich mit Emotionen – zum Beispiel mit dem Glück, wenn man gesprungen ist», so der Psychologe. Darüber hinaus wird dieses intensive Erinnerungen-Bouquet auch noch in einer sehr prägenden Lebensphase zusammengebunden. Denn - man kommt um diesen Hinweis nicht drumherum - wer klettert auf den Sprungturm? Oft Menschen kurz vor, mitten in oder kurz nach der Pubertät.

Wobei man aus der Praxis auch anderes hört. «Wir haben auch Leute dabei, die gehen mit 60, 70 und 80 noch da oben drauf und zeigen den Jungen, was sie können. Da machen die vom Fünfer einen Abfaller, vorwärts, rückwärts. Da stehen den Jungen dann die Backen ganz weit auf, was die noch auf die Kette kriegen», sagt Wolfgang Werthschulte. Rund 45 Jahre lang war er Bademeister («Ich habe das flächengrößte Freibad vom Niederrhein geleitet»). Seit Kurzem ist er in Rente.

Nicht unbedingt eine Frage des Alters

Für ihn sei immer klar gewesen: Am Sprungturm müssen feste Regeln gelten. Chaos, das ist gefährlich. Werthschulte sagt auch: Zum Springen gehen tatsächlich alle. Die Alten, aber auch die Kleinen, die zeigen wollen, wie mutig sie schon sind. «Papa steht dann da oben und ihm schlottern die Knie. Aber er muss ja dann auch.»

Wenn man Werthschulte fragt, auf was man beim Springen achten sollte, redet er ein wenig wie ein Luft- und Raumfahrtingenieur bei der Präsentation eines neuen Flugkörpers. «Der Kopf steuert die Flugrichtung», sagt er dann im ernsten Ton. «Wichtig ist, dass man das Kinn nicht zu sehr runter nimmt. Dann überschlägt man sich.» Und was sollte man auf keinen Fall machen? «Es ist ungeschickt, breitbeinig zu springen», sagt der ehemalige Schwimmmeister.

Womit man tatsächlich am Ende einer Geschichte über Sprungtürme ankommt, ohne ein Wort genannt zu haben, das eigentlich fallen muss: Arschbombe. Aber der Sommer ist ja noch lang.


Bildnachweis: © Oliver Berg/dpa
Copyright 2022, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten

Ihre Nachrichten fehlen auf der Gütersloh App? 

Meistgelesene Artikel

Ostergebäck zum Vernaschen
Rezepte

Rezept für Quarkhasen

weiterlesen...
Tipps für Elektroinstallationen bei Renovierungen und Neubauten
In Gütersloh entdeckt...

Dein Partner für Elektroinstallationen und Gebäudetechnik aus Gütersloh

weiterlesen...

Neueste Artikel

50-jährige Frau schlägt zu - Gütersloher Polizistin schwer verletzt
Polizeimeldung

Kriminalität 50-jährige Frau schlägt zu - Gütersloher Polizistin schwer verletzt Freitagabend (19.04., 19.45 Uhr)...

weiterlesen...
Zündelein in der Gütersloher Innenstadt - Zeugenaufruf
Polizeimeldung

Kriminalität Zündelein in der Gütersloher Innenstadt - Zeugenaufruf In der Nacht zu Dienstag (22.04., 18.15 Uhr -...

weiterlesen...

Weitere Artikel derselben Kategorie

Gericht hebt historisches Urteil gegen Harvey Weinstein auf
Allgemeines

Das Urteil gegen Filmmogul Weinstein war 2020 ein Meilenstein der Rechtsgeschichte. Nun gab ein Gericht überraschend seinem Einspruch statt. Freikommen wird der 72-Jährige vorerst aber nicht.

weiterlesen...
Suche nach Arian geht weiter - Bundeswehr soll helfen
Allgemeines

Einsatzkräfte suchen seit Montagabend nach dem sechsjährigen Arian aus Bremervörde. Bei der Suche setzen sie Retter auch ungewöhnliche Methoden ein - und haben weiterhin Hoffnung.

weiterlesen...
ANZEIGE – Premiumpartner