8. August 2023 / Allgemeines

Oder-Fischsterben: Drohen weitere Umweltkatastrophen?

Bis zu 1000 Tonnen Fische starben im vergangenen Sommer in der Oder, in der Folge litt das gesamte Ökosystem. Die Ursachen sind längst nicht gestoppt. Drohen am Fluss weitere Umweltkatastrophen?

Tote Fische im August 2022 im deutsch-polnischen Grenzfluss Oder.
von Silke Nauschutz, Monika Wendel und Friedemann Kohler, dpa

Dieses Bild bekommt Oder-Fischer Andre Schneider nicht mehr aus dem Kopf. Sein täglicher Blick auf den ruhig dahinfließenden Fluss und dann der heiße Augusttag im vergangenen Jahr, als plötzlich ein riesiger Karpfen vorbeitreibt.

«Es war der Moment, als der Fisch sich erst drehte, dann die Augen verdrehte, so als wollte er sagen: Nun hilf mir mal», erinnert sich der 39-Jährige. Was er damals nicht ahnt: Es sollte rasch weit schlimmer kommen.

Unzählige Fische sterben im Sommer 2022 in der Oder - Bleie, Plötzen, Karpfen, Zander. Auch Deutschlands einziger Auen-Nationalpark ist in Gefahr. Fachleute gehen davon aus, dass hoher Salzgehalt, Niedrigwasser, hohe Temperaturen und das Gift der Algenart Prymnesium parvum Ursachen für das Fischsterben waren.

Jederzeit ein weiteres Massensterben möglich?

Ein Jahr später. Noch immer werden stark überhöhte Salzfrachten im Fluss gemessen. Bislang blieb ein erneutes Massensterben aus, doch wird das so bleiben?

Viel Regen, der zum Anschwellen der Flüsse führt, und niedrigere Temperaturen können dazu führen, dass die Wahrscheinlichkeit einer starken Algenblüte geringer ist. «Es kann sein, dass vieles von den Problemen weggeschwemmt wird und wir in diesem Jahr Glück haben», sagt der Fischökologe Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB).

Für den Spätsommer und die kommenden Jahre sehen Experten aber weiterhin Risiken, sollten Hitze und niedrige Wasserstände der toxischen Goldalge gute Bedingungen für eine massenhafte Vermehrung bieten.

«Das gesamte Ökosystem der Oder ist nach der Umweltkatastrophe im Sommer 2022 nach wie vor stark geschädigt», sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). «Lokale Fischsterben in Polen in einem Stausee und zuletzt im Juni dieses Jahres im Gleiwitzer Kanalsystem zeigen, dass die Gefahr nicht gebannt ist, auch wenn die Situation in der Grenzoder in Deutschland derzeit keinen Hinweis auf ein mögliches Fischsterben gibt», heißt es aus dem Bundesumweltministerium.

Rätsel um Goldalge

Nach wie vor erreichen die Werte für den Salzgehalt in der Oder gefährliche Höhen: Am 4. August etwa wurde als Indikator dafür eine elektrische Leitfähigkeit von 2340 Mikrosiemens pro Zentimeter an der Messstelle in Frankfurt (Oder) gemessen. Auch vor einem Jahr war der Wert auf über 2000 gestiegen.

Laut Wolter sollte er eigentlich um die 600 bis 700 liegen. «Es werden Symptome bekämpft, aber an den Ursachen passiert nichts», sagt der Wissenschaftler ein Jahr nach der Umweltkatastrophe. Umweltorganisationen und auch Bundesumweltministerin Lemke gehen davon aus, dass der hohe Salzgehalt wahrscheinlich auf Abwässer aus der polnischen Bergbauindustrie zurückgeht.

Zu einem tödlichen Cocktail wurde die Oder im vergangenen Jahr dann für viele Fische, weil sich zudem eine noch recht rätselhafte Algenart vermehrte und entsprechend mehr Gift produzierte. Forscher wollen klären, ab welchem Salz-Wert es unter welchen Bedingungen zu einer Massenvermehrung dieser Alge kommt. «Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr schlauer sind», sagt IGB-Gewässerökologe Jan Köhler.

Im Nationalpark Unteres Odertal wird regelmäßig kontrolliert, wie sich die Goldalge in den Poldergewässern entwickelt. Bisher seien sehr geringe Konzentrationen nachgewiesen worden, sagt Leiter Dirk Treichel. Aber dem Fluss fehlt seit der Katastrophe eine wichtige Stütze: Laut Treichel verendeten im Sommer 2022 etwa 65 Prozent der Großmuscheln. Sie filtrieren das Wasser, sorgen für Lichtdurchlässigkeit. Nun sieht der Fluss durch Schwebstoffe und Algen auffällig trüb aus. Den Boden bedeckt teilweise eine 20 Zentimeter dicke Schicht aus Muschelresten.

Wie geht es den Fischen im Fluss?

Im Zuge der Oder-Katastrophe fehlten Schätzungen zufolge mehr als die Hälfte der zuvor dort lebenden Fische im Fluss. Nach Schätzungen des IGB summierte sich das Gewicht der im vergangenen Sommer verendeten Fische auf bis zu 1000 Tonnen. Der Lichtblick: Die Populationen können sich erholen, die Fortpflanzungsbedingungen sind laut Experten gut. «Ich bin momentan sehr guter Dinge, denn es gibt auch viele Jungfische», sagt Fischer Schneider.

Was passiert zum Schutz der Oder?

Wie die Therapie für den verwundeten Fluss aussehen kann, dazu gibt es in Polen und Deutschland unterschiedliche Haltungen. Das Bundesumweltministerium steht seit vergangenem Jahr mit dem Nachbarland in Kontakt, aber das Verhältnis bleibt angespannt. Es gab Workshops, Konferenzen und die stete Forderung Lemkes an ihre polnische Amtskollegin, die Salzeinleitungen deutlich zu reduzieren. Der deutsche Warn- und Alarmplan für die Oder wurde überarbeitet, das Monitoring des Flusses verbessert. Auch Polen überwacht die Wasserwerte nach eigenen Angaben intensiver.

Zankapfel bleibt der Oder-Ausbau. Auf polnischer Seite treibt der staatliche Wasserwirtschaftsbetrieb Wody Polskie den Ausbau voran und lässt sich auch durch mehrere Gerichtsurteile nicht stoppen. Am 21. Juli verpflichtete ein Bezirksgericht die Staatsanwaltschaft, gegen die Bauaufsicht der Woiwodschaft Lebus zu ermitteln. Denn diese will ihrerseits einen gerichtlich verhängten Baustopp nicht durchsetzen.

«Es ist eine Art Sieg für die NGOs und Anwälte gegen die Politik der Regierung», sagte der Umweltschützer Radoslaw Gawlik von der Organisation EKO-Unia aus Breslau. Trotzdem macht er sich wenig Hoffnung, dass die Arbeiten eingestellt werden.

Der Führung in Warschau sind das Engagement der Umweltschützer für die Oder und die Berichterstattung darüber ein Dorn im Auge. Der Regierungsbevollmächtigte für Informationssicherheit, Stanislaw Zaryn, sah aus Deutschland gesteuerte Kampagnen am Werk. Sie dienten dazu, «Druck auszuüben, der den Interessen der Republik Polen zuwiderläuft», sagte er in Warschau.


Bildnachweis: © Patrick Pleul/dpa
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