22. Juni 2021 / Allgemeines

Prozess um Vergewaltigung auf Schulklo ausgesetzt

Wenn die Schule zum Tatort wird: Am Landgericht Traunstein standen schockierende Vorwürfe im Raum, ein Schüler soll einen Zehnjährigen mehrfach vergewaltigt haben. Der Prozess wurde vorerst ausgesetzt.

Am Landgericht in Traunstein findet der Prozess um Vergewaltigungen auf einer Schultoilette statt.
von Britta Schultejans und Elke Richter, dpa

Der Vorwurf löst Fassungslosigkeit aus: Ein damals 14-Jähriger soll einen zehn Jahre alten Mitschüler auf der Schultoilette eines oberbayerischen Gymnasiums mehrfach vergewaltigt haben.

Die Staatsanwaltschaft klagte den mutmaßlichen Täter am Dienstag vor dem Landgericht Traunstein wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, Vergewaltigung und Körperverletzung an. Nach nur zwei Verhandlungstagen sollte schon an diesem Mittwoch Recht gesprochen werden, es schien alles auf ein schnelles Urteil hinauszulaufen. Doch nun kommt es anders.

«Es sind noch umfangreiche Nachermittlungen erforderlich, die wohl noch einige Zeit in Anspruch nehmen», sagte eine Sprecherin des Gerichts wenige Stunden nach Prozessbeginn. Deshalb solle es erst im November weitergehen. «Das Verfahren muss dann neu begonnen werden.»

In welche Richtung die Nachermittlungen gehen sollen, konnte die Gerichtssprecherin zunächst nicht sagen. Laut Anklage soll der Ältere den Jüngeren im Herbst 2017 immer wieder missbraucht, ihn während der Nachmittagsbetreuung am Gymnasium Raubling in der Nähe von Rosenheim drei bis vier Mal vergewaltigt haben. Das Kind soll mitgemacht haben, weil es Angst vor Schlägen hatte. Laut Gericht hat der Angeklagte Jugendliche die Tat bei der Polizei bestritten.

«Dass so etwas angezeigt wird, ist höchst selten», sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer. «Der Mut ist beachtlich, aber das ist eine Seltenheit. Viele scheuen davor zurück, weil der Opferstatus sie nicht mehr verlässt.»

Wie häufig solche Fälle bundesweit sind, wird nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) nicht erfasst. Und auch Pfeiffer sagt: «Über die Häufigkeit wage ich keine Prognose.» Er geht von einem sehr großen Dunkelfeld aus.

Für Bayern gibt es aber Zahlen, die bemerkenswert sind: Zwar ist die Zahl schwerer Sexualdelikte laut Landeskriminalamt (LKA) in etwa gleichbleibend, doch es hat sich etwas geändert auf dem Schulhof: Die Gesamtzahl der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung an Schulen hat sich fast verdreifacht - von 102 im Jahr 2016 auf 295 im Jahr 2020. Die Zahl der Tatverdächtigen stieg im gleichen Zeitraum von 97 auf 273 - wobei zu beachten ist, dass seit einer Novellierung des Sexualstrafrechtes auch die Straftatbestände der sexuellen Belästigung und des sexuellen Übergriffs erfasst werden.

Außerdem macht den Großteil davon der Straftatbestand Verbreitung pornografischer Schriften aus. Gab es 2016 in dem Zusammenhang noch 38 Fälle an bayerischen Schulen, waren es 2020 schon 168.

Ein Blick nach Großbritannien zeigt einen besorgniserregenden Trend: Die britische Aufsichtsbehörde Ofsted hat kürzlich einen Bericht zu sexueller Belästigung an Schulen veröffentlicht. Das erschreckende Ergebnis: Was früher Pokémon-Karten waren, sind heute Nacktbilder von Mitschülerinnen. In Jungs-Cliquen werden sie systematisch gesammelt und auf WhatsApp oder Snapchat als Trophäen geteilt. Und dieses «Spiel» ist nur eines von vielen Beispielen für den erschütternden Befund des Berichts, der zu dem Schluss kommt: Sexismus und sexuelle Belästigung gehören an britischen Schulen zum Alltag.

Neun von zehn Mädchen gaben nach dem Bericht an, oft oder manchmal ungewollt explizite Bilder geschickt zu haben oder mit sexistischen Spitznamen angesprochen zu werden. Rund drei Viertel berichteten von sexuellen Übergriffen. Deutlich mehr als die Hälfte gab an, schon ungewollt berührt worden zu sein.

Nach Angaben des bayerischen Kultusministeriums hat die Schule «unverzüglich die Strafverfolgungsbehörden zu informieren», sobald dort Kenntnisse eines Sexualdeliktes vorliegen. «Für diese Anzeigepflicht gilt die Aussagegenehmigung für die Schulleiterin beziehungsweise den Schulleiter hiermit als erteilt», heißt es in einer entsprechenden Bekanntmachung des Kultusministeriums aus dem Jahr 2014.

«Angesichts einer zunehmend sexualisierten Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler ist für eine erfolgreiche Prävention insbesondere die Entwicklung von Kompetenzen nötig, um zum Beispiel mediale Botschaften kritisch hinterfragen und selbstbestimmter mit Medien umgehen zu können», sagt ein Ministeriumssprecher.

«Jugendliche sind besonders empfänglich für medial verbreitete Trends und Wertvorstellungen. Über Fernsehen, Internet, Musik oder Computerspiele werden sie mit problematischen und verstörenden Inhalten zum Thema Sexualität konfrontiert, wobei oftmals der Zusammenhang von Achtung, Zärtlichkeit, Liebe und Sexualität aufgehoben und ein bedenkliches Männer- und Frauenbild vermittelt wird.»


Bildnachweis: © Uwe Lein/dpa
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