14. Juli 2023 / Allgemeines

Rat: Gender-Binnenzeichen nicht Kernbestand der Orthografie

In Schulen, am Arbeitsplatz und in der Politik wird über das Gendern diskutiert. Wie sieht eine gerechte Schreibweise aus? Es bleibt weiterhin schwierig.

Die Anrede «Mitarbeiter*innen» ist in der Handreichung «Hinweise zur Umsetzung der geschlechtersensiblen Sprache für die Verwaltung der Landeshauptstadt Stuttgart» markiert und auf eine...
von Anna Ringle, dpa

Es bleibt kompliziert. Über das Thema Gendern mit Doppelpunkt, Unterstrich und Sternchen im Wortinneren - wie etwa bei «Schüler:innen», «Schüler_innen» oder «Schüler*innen» - gibt es schon lange eine gesellschaftliche Debatte in Deutschland.

Das Ganze ist längst politisch aufgeladen und kocht immer wieder hoch - in Schulen, am Küchentisch, am Arbeitsplatz. Im Alltag geht es um solche Fragen wie die, ob in der Schule Gendern als Fehler in einer Klausur gewertet wird.

An der ganzen Debatte und der großen Bandbreite in den Bundesländern wird sich vermutlich nach der neuesten Äußerung des Rats für deutsche Rechtschreibung nichts ändern. Wer sich eine eindeutige Positionierung erhofft hatte, die auf einen einfachen Nenner zu bringen ist, wurde enttäuscht.

Das sagt der Rat

Selbst in dem Gremium als wichtige Instanz für Rechtschreibung war die Sitzung zum geschlechtergerechten Schreiben sehr kontrovers, wie der Ratsvorsitzende Josef Lange am Freitag im belgischen Eupen danach berichtete. Der Rat kam auch deshalb zusammen, weil es im Vorfeld sehr viele Fragen von Behörden und Schulen gab, wie sie mit dem Thema Gendern umgehen sollen.

Ergebnis: Der Rat für deutsche Rechtschreibung stuft Genderzeichen im Wortinneren nicht als Kernbestand der deutschen Orthografie ein. Zugleich führt der Rat in einer neuen Ergänzung zum Thema Sonderzeichen das Gendern im Wortinneren - Doppelpunkt, Unterstrich und Sternchen - auf.

Ratsvorsitzender Lange sagte der Deutschen Presse-Agentur zur Einordnung, dass man damit das gesellschaftliche Phänomen an sich beschreiben wolle. Die Zeichen vermittelten «übersprachlich aufgeladen», dass damit alle Geschlechtsidentitäten gemeint seien. Der Rat trage dem Rechnung, dass es das Phänomen in der Gesellschaft gebe und sich sprachhistorisch entwickele.

Lange ergänzte zugleich: «Der Genderstern gehört nicht zum Kernbereich der deutschen Orthografie.» Es seien also auch weiterhin keine regulären Zeichen. In der Folge könne es in einer Reihe von Fällen dazu führen, dass es grammatikalische Folgeprobleme gebe. Man müsse das Ganze weiter beobachten.

Weitere Handreichungen gab es nicht. Der Rat sieht seine künftige Arbeit aber besser systematisiert. Lange machte zudem aus seiner Sicht klar: Es handele sich beim Gendern nicht um eine orthografische, sondern um eine gesellschaftspolitische Diskussion. Die Spannungen könne man nicht mit orthografischen Mitteln auflösen. Die Orthografie sei lediglich ein Vehikel.

Staatliche Stellen müssen handeln

Die Aufgabe des Rates im Auftrag von staatlichen Stellen mehrerer Länder, die die deutsche Sprache verwenden, ist es, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und die Rechtschreibung auch mit Blick auf den Wandel der Sprache weiterzuentwickeln.

Der Rat will nun den staatlichen Stellen - in Deutschland sind die Kultusministerkonferenz und das Bundesinnenministerium beteiligt - vorschlagen, das Amtliche Regelwerk durch den Abschnitt Sonderzeichen zu ergänzen. Erst mit Billigung der staatlichen Stellen gibt es eine Bindungswirkung. Es folgt jetzt voraussichtlich zunächst ein Anhörungsverfahren, im Dezember könnte final beschlossen werden.

Die bisherigen Empfehlungen des Rates sind zugleich nicht aufgehoben, wie das Gremium mitteilte. Zuletzt hatte der Rat im Jahr 2021 empfohlen, Sternchen, Unterstrich, Doppelpunkt oder andere Formen zur Kennzeichnung von mehrgeschlechtlichen Bezeichnungen im Wortinneren zu diesem Zeitpunkt nicht in das Amtliche Regelwerk aufzunehmen.

Jetzt wäre es auch weiterhin nicht regulär aufgenommen, aber als Phänomen in dem Bereich Sonderzeichen beschrieben. Zu seiner Empfehlung führte der Rat damals unter anderem aus, dass geschlechtergerechte Schreibweise nicht das Erlernen der geschriebenen deutschen Sprache erschweren dürfe.

Politische Entscheidung

Der Ratsvorsitzende fasste am Freitag weiter zusammen: Es sei eine politische Entscheidung, wie man Verwaltungstexte formuliert. Zum Thema Schulen: Es sei einheitliche Meinung im Rat, dass in der Grundschule die deutsche Normsprache erlernt werden müsse und dann könnte in höheren Schulstufen das differenzierter bewertet werden.

Seit Jahren wird in Deutschland diskutiert, ob - und wenn ja, wie - die männlichen Formen in der Sprache durch weiter gefasste Begriffe ersetzt werden können oder sollten - um zum Beispiel Frauen offensiver einzubeziehen. Das Gendersternchen wie bei Lehrer*innen ist eine Möglichkeit. Manche setzen an die Stelle auch einen Doppelpunkt oder einen Unterstrich. In der gesprochenen Sprache und im Fernsehen oder Radio äußert sich das dann als Sprechpause.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) - in dem Bundesland wird noch in diesem Jahr der Landtag gewählt - schloss noch vor dem Ende der Sitzung eine Pflicht zum Gendern in Bayern kategorisch aus. «Jeder soll es persönlich halten, wie er es will! Aber für Bayern gilt: Eine Pflicht zum Gendern wird es im Freistaat definitiv nicht geben...», schrieb Söder auf Twitter. Söder und die CSU machen seit geraumer Zeit Wahlkampf mit dem Thema.

Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich Politik und Medien: CDU-Chef Friedrich Merz positionierte sich auf einem CDU-Parteitag 2022 indirekt gegen das Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und sagte: «Universitäten, meine Damen und Herren, und öffentlich-rechtlicher Rundfunk sind keine Volkserziehungsanstalten.» Von Senderseite wurde der Vorwurf zurückgewiesen.

Auch in der Wirtschaft und bei Gerichten ist das Thema Gendern längst angekommen. So beschäftigte sich zum Beispiel das Landgericht Ingolstadt im vergangenen Jahr mit einer Klage gegen einen Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache beim Autobauer Audi.


Bildnachweis: © Sebastian Gollnow/dpa
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