12. Oktober 2023 / Allgemeines

Geldsorgen bestimmen laut Umfrage Ängste der Deutschen

Viele Menschen haben Angst, sich ihr Leben künftig nicht mehr leisten zu können. Das zeigt eine Umfrage. Bestimmte Sorgen sind im Vergleich zum vergangenen Jahr besonders groß geworden.

Ein Kassenbon im Einkaufskorb: Die Menschen in Deutschland fürchten sich einer Umfrage zufolge vor steigenden Lebenshaltungskosten.
von Mia Bucher, dpa

Drohen beim Supermarkteinkauf künftig Abstriche? Wie lange kann man sich die Miete noch leisten? Die Ängste der Bundesbürger werden dieses Jahr allen voran von Geldsorgen bestimmt, wie die Langzeitstudie «Die Ängste der Deutschen» ergab, die am Donnerstag veröffentlicht wurde.

Demnach steht die Angst vor stark steigenden Lebenshaltungskosten laut der repräsentativen Umfrage auf Platz eins der größten Sorgen. Knapp zwei Drittel (65 Prozent) der Befragten gaben an, dass sie sich vor anziehenden Preisen fürchteten.

Auch auf Platz zwei und drei der Rangliste landeten Sorgen vor einem teureren Leben: Sechs von zehn Deutschen (60 Prozent) haben demnach Angst, dass Wohnen unbezahlbar wird, 57 Prozent sorgen sich, dass der Staat dauerhaft Steuern erhöht oder Leistungen kürzt.

Die Umfrage «Die Ängste der Deutschen» wird seit mehr als 30 Jahren regelmäßig von der R+V-Versicherung in Auftrag gegeben und gilt als kleiner Seismograph der Befindlichkeiten rund um Politik, Wirtschaft, Familie und Gesundheit. Für die diesjährige Befragung wurden zwischen Juni und August rund 2400 Menschen im Alter ab 14 Jahren von Meinungsforschern befragt - also vor den neuen Angriffen auf Israel.

Wovor haben die Deutschen am meisten Angst?

Die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten steht den Angaben zufolge regelmäßig an der Spitze der größten Ängste, so auch vergangenes Jahr. Deutschland verzeichnete die höchste Inflation seit Gründung der Bundesrepublik. Etwa jeder sechste Deutsche kann nach eigenen Angaben wegen der hohen Teuerung kaum seine Lebenshaltungskosten bezahlen, wie eine jüngste Yougov-Umfrage für die Postbank ergab.

Auch wenn die Lebenshaltungskosten die Deutschen am meisten umtreiben - im Vergleich zum Vorjahr gab es auf der Skala einen leichten Rückgang (minus 2 Prozentpunkte). «Die Menschen haben sich daran gewöhnt», sagte Politikwissenschaftlerin Isabelle Borucki bei der Vorstellung der Ergebnisse in Berlin. Borucki begleitete die Studie als Beraterin.

Mit Blick auf die Gesamtergebnisse sagte sie: «Das bedeutet nicht, dass wir es bei der befragten Gruppe mit grundlegend ängstlichen Menschen zu tun haben», erklärte Borucki. «Die Menschen sind vielmehr ängstlich, weil alles auf einmal passiert.» Inflation, Zuwanderung, Kriege - all das bereitet Kummer. Den deutlichsten Rückgang (minus 6 Prozentpunkte) gibt es bei der Furcht vor einer schlechteren Wirtschaftslage. Das könne daran liegen, dass die eigene Betroffenheit eine wichtigere Rolle spiele als die allgemeine Lage, erklärte die Politikwissenschaftlerin.

Angst im Zusammenhang mit Migration

Im Vergleich zu 2022 sind zwei Ängste besonders groß geworden: Die Angst, dass Deutsche und deutsche Behörden durch Geflüchtete überfordert sein könnten (plus 11 Prozentpunkte) und die Angst, dass das Zusammenleben in Deutschland durch einen weiteren Zuzug von Migrantinnen und Migranten beeinträchtigt werden könnte (plus 10 Prozentpunkte). Die Ängste belegen Platz vier und zwölf des Rankings.

Viele Menschen suchten wegen verschiedener weltweiter Konflikte Schutz in Deutschland, etwa aus der Ukraine, sagte Borucki. Seit Monaten werde deswegen über die Überlastung der Kommunen diskutiert. «Damit verbunden ist auch eine gewisse gestiegene Angst vor anderen, sogenannten illegalen Einwanderern.» Aktuell gibt es lokal teilweise Engpässe bei der Unterbringung von Geflüchteten.

Aus der Migrationsforschung wisse man, dass auch Sorgen «um knappe Güter» bei Ängsten in Bezug auf Einwanderung eine Rolle spielten, sagte Borucki - zum Beispiel, dass Wohnraum, Betreuung und Sozialleistungen durch Flüchtlinge in Anspruch genommen werden könnten und dann gefährdet seien.

Was sagen Experten?

Das bestätigt Psychologe André Ilcin. Existentielle Sorgen führten zu Hilflosigkeit und permanenter Angst, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Dadurch seien Betroffene auch empfänglicher für Rassismus: «Wenn sie selbst gucken müssen, wie sie sich über Wasser halten, dann sinkt die Bereitschaft abzugeben.» Wenn die Menschen dann hörten, dass es Leute gäbe, die mutmaßlich alles geschenkt bekämen, würden Ängste in Bezug auf Migration stärker.

Reißerische Schlagzeilen oder Falschaussagen und Überspitzungen, insbesondere von rechten Politikern, verstärkten dieses Gefühl. «Wir werden permanent mit negativen Schlagzeilen bombardiert. Eine irrationale Angst wird dadurch zu einer tatsächlichen Angst», erklärte der Psychotherapeut und ergänzte: «Alles, was unbekannt ist, macht uns Angst.» Deswegen fürchteten sich manche Menschen vor Dingen, die noch gar nicht eingetreten seien. Eine Konfrontation mit dem Unbekannten würde helfen, um Ängste abzubauen.

Die Umfrage-Ergebnisse zeigen, dass das Vertrauen in die Politik sinkt. Jeder zweite (51 Prozent) Bundesbürger fürchtet, dass Politikerinnen und Politiker mit ihren Aufgaben überfordert seien. Im Vergleich zum Vorjahr rückt die Sorge vier Plätze weiter nach vorne und steht auf Platz sechs des Ängste-Rankings. Borucki zufolge erwarten die Bürgerinnen und Bürger zukunftsfähige Lösungen vom Staat, die klar kommuniziert werden.


Bildnachweis: © Monika Skolimowska/dpa
Copyright 2023, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten

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