26. August 2022 / Allgemeines

Wildjodeln und Tradition: Jolo-o-u-iu statt Holo-le-i-ti

Hierzulande kennen Generationen das Jodeln vor allem aus dem köstlichen Loriot-Sketch über das Jodeldiplom. Natürlich ist in Wirklichkeit alles anders. Wie's geht, wusste schon Tarzan.

Héloïse Fracheboud versteht sich auf die Kunst des Jodelns.
von Christiane Oelrich und Albert Otti, dpa

Bloß nicht versuchen, mit schöner Stimme liebliche Töne zu produzieren! «Jodeln ist der Gesang der Seele, der den innersten Gefühlen Ausdruck verleiht», sagt die Jodellehrerin Héloïse Fracheboud. Wie eine Urgewalt.

Sie lässt Schülerinnen mit der Hand auf Brust und Kopf das Vibrieren des eigenen Körpers als Klanginstrument spüren und sagt: «Jodeln kann jeder. Wenn mal ein anderer Ton herauskommt als erwartet: Freu Dich darüber.» Mit ihrem unkonventionellen Stil eckt die Schweizerin bei Vertretern der reinen Jodellehre schon mal an.

Generationen von Deutschen denken beim Jodeln an den Loriot-Sketch «Jodelschule» von 1978, in dem Frau Hoppenstedt (Evelyn Hamann) einen Jodel-Kurs macht, um «etwas Eigenes» zu haben. Unvergessen, wie sie sich in «den Grundmotiven des Erzherzog-Johann-Jodlers« («Holleri du dödl di, diri diri dudel dö») verheddert. Natürlich war das Blödelei. Und beim Schweizer Jodel könnte dies ohnehin nicht passieren.

Was ist Jodeln eigentlich?

Denn dort wird in der reinen Lehre nur auf den Vokalen O, U und Ü gejodelt. Allenfalls gehört ein «J» für «Jo» oder ein «i» beim U» dazu. Statt Holo-le-i-ti müsste es im Schweizerischen Jolo-o-u-iu heißen. Während es in Österreich «doli, duli, du» gibt und oft fetzig schnell gejodelt wird, ist der Schweizer Naturjodel meist getragener, wie beim Appenzeller Zäuerli oder dem Muotathaler Naturjuuz.

Aber was ist Jodeln eigentlich? «Eine text- und wortlose Singweise», schreibt das Schweizer Bundesamt für Kultur. «Das Jodeln eröffnet ein breites klangliches Spektrum zwischen gepflegtem, klassisch anmutendem Schöngesang bis hin zur archaischen, rufenden Stimmgebung.» Solche Gesänge gibt es bei vielen Völkern in praktisch allen Erdteilen.

Der Wunsch nach Abgrenzung von den Tiroler Jodlern hat 1910 in der Schweiz zur ersten Jodlerbewegung geführt. Damals arbeiteten viele Tiroler in der Schweiz und jodelten auf ihre Art. «Man hatte Angst, dass unser Brauchtum verwässert wird», sagt die Präsidentin des Eidgenössischen Jodlerverbandes, Karin Niederberger. Strenge Experten hätten begonnen, zwischen dem «richtigen» Jodeln der Bergbevölkerung und dem «falschen» Jodeln auf der Bühne zu unterscheiden, schreibt der Musikwissenschaftler Raymond Ammann aus Innsbruck 2020, wobei letzteres in der Schweiz als «Tirolerei» beschimpft worden sei.

«Wir jodeln schweizerisch», hält Niederberger fest. «Wir pflegen den uralten, überlieferten Jodelgesang.» Da schwinge eine unmessbare Energie mit, die das Herz berührt, wenn Jodlerinnen und Jodler mit der Erinnerung an erlebte Sommer mit schwerer Arbeit auf der Alp, einer Bergweide, jodeln. Für Wettbewerbe des Jodlerverbandes gelten Regeln. «Was gar nicht geht, ist rü oder holdri a-i-o», sagt sie der dpa. Und es gehört auch Haltung dazu: Sangesgruppen stehen bewegungslos im Halbkreis, die Hände in den Taschen oder unter der Schürze. Begleitet werden darf nur auf dem Akkordeon oder der Variante Schwyzerörgeli.

Wechsel von Brust- auf Kopfstimme

Bei Fracheboud, der Westschweizerin, geht es verglichen damit geradezu anarchistisch zu. Sie hat Jodelamateure als Chor schon schräg gekleidet auf Stadtfesten präsentiert. Ihr Jodelkurs findet auf ihrer Terrasse in einem Bergdorf oberhalb von Martigny im Rhonetal statt. «Erst Luft rauslassen, dann Dreinschauen wie ein aufgewecktes Landei», sagt sie und blickt mit aufgerissenen Augen und offenem Mund in die Runde. So fließt frische Luft in die Lungen. «Und nun den Ton aus tiefster Brust ausstoßen», sagt sie. «Stell Dir vor, Du rufst Deine Kuh auf der Weide, voilà, Du jodelst schon.»

Dass mehr dazu gehört, wird natürlich klar, wenn Fracheboud selbst zum Jodeln ansetzt und elegant von Brust- auf Kopfstimme wechselt. Die Ansätze dazu gibt es auch in der Schnupperstunde. Sie sagt: Jeder kann mit Jodeln seine innersten Gefühle zum Ausdruck bringen. «Tarzan war der erste weltbekannte Jodler», sagt sie. Auch der Urwaldschrei entsteht durch den gekonnten Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme.

Für die studierte Musikerin ist Jodeln Folklore, die sich verändern muss. So schreibt sie selbst Kompositionen, in denen es nicht immer um Berge geht. «Eine Flasche für das Meer» etwa gibt Gefühle einer Frau wider, die ihrem Liebsten Flaschenpost schickt. Dabei jodelt sie nicht - wie im Traditionellen - sich meist wiederholende Elemente, sondern in einem Spannungsbogen leise-laut-leise. Sie begleitet sich auf einer Stahlzungentrommel, einem metallischen Hohlkörper mit Ritzen oben drauf, dem sie mit Schlägern meditative Klänge entlockt.

Kein strenges Regelwerk in Österreich

An Wettbewerben des Jodlerverbandes kann sie damit nicht teilnehmen. Sie sei von Puristen früher als Saboteurin angefeindet worden, sagt Fracheboud. Inzwischen blüht aber die Szene abseits der Regeln. Es gibt sogar ein Studium mit Hauptfach Jodel an der Hochschule Luzern.

Die Musikerin Erika Stucky bekam 2020 den Schweizer Grand Prix Musik, weil sie Jodel, Blues und Jazz verbunden und die neue Volksmusik der Schweiz geprägt habe, hieß es damals. Und «Oesch’s die Dritten» ist eine Schweizer Familienband, die mit der verpönten «Tirolerei» erfolgreich ist. Auch Techno-, Rocker- und Rapper-Jodel gab es schon.

In Österreich gibt es keine Jodel-Wettbewerbe und auch kein strenges Regelwerk. «Wenn man sich nur an Regeln hält, lässt man keine kreativen Prozesse zu», sagt Irene Egger vom Österreichischen Volksliedwerk, das die musikalischen Traditionen des Landes pflegt. Der Verband sei nicht mit erhobenem Zeigefinger unterwegs, um zu sagen, was richtig oder falsch sei. Für Verstimmung sorgten nur diejenigen, die die Jodel-Musik nur mit Blick auf den Profit ausschlachten. «Man kann ja mit Traditionen spielen, aber die Frage ist, mit welcher Obacht und Wertschätzung ich das mache», sagt Egger.


Bildnachweis: © Christiane Oelrich/dpa
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