2. September 2024 / Lokalnachrichten aus Gütersloh

Charlie B. Zudrop - Künstler und Gesicht aus Gütersloh

Knorrig wie die Bäume, die er zeichnet: Charlie B. Zudrop, ein Typ, ein Künstler, ein Gesicht.

von Text und Fotos: Susanne Zimmermann, Auszug aus der gt!nfo (Ausgabe September 2024)

Ein Typ. Einer, dem sich das Leben ins Gesicht getackert hat. Einer, der immer schon da war in der Stadt. Mit Pinsel, Stiften, „Plakafarbe“ und dicken Kladden, die Galerie sind und Tagebuch. Charlie B. Zudrop, 72 Jahre, meerblaue Augen, zeitlos und ein wenig aus der Zeit gefallen.

Als Künstler ist Charlie B. Zudrop Autodidakt. Doch das ist nur eine Zuordnung, die bestenfalls den Anfang seiner Entwicklung beschreibt. Vorbilder fand er im Surrealismus und in psychedelischer Kunst. Bei Woldemar Winkler, dem bekannten Surrealisten mit Wohnsitz in Gütersloh, hat er mal einen Workshop gemacht, aber geprägt hat ihn das Leben. »Ich gucke einfach zu, was mein Stift so macht,« sagt er, und das klingt aus seinem Mund überhaupt nicht kokett. Wer ihm nur ein paar Minuten zuschaut, versteht schnell, dass Malen für Charlie Zudrop ein intuitiver Prozess ist, der Stimmungen des Zeichners spiegelt, Depressionen auffängt, Aggressionen abbaut, Harmonien auslotet.

Malen auch als Therapie
Ja, auch Therapie sei das Malen für ihn immer gewesen, sagt Charlie Zudrop – eine Konstante in einem Leben, das in Herzebrock und Clarholz begonnen hat, das von zerrissenen Familienbeziehungen erzählt. Mit 14 malocht er in einer Möbelbude, Alkohol am Wochenende ist normal. Mit 15 „verschleppt“ ihn das Jugendamt nach Gütersloh, ins „Kolpinghaus“, damals Wohnheim für junge Arbeiter mit Internatscharakter und strenger Hausordnung. Mit einem Chef kriegt er Ärger, weil er sich – wir sind im Jahr 1970 – die Haare nicht abschneiden lassen will. Er schmeißt hin, lebt in WGs, tourt per Anhalter durch Europa, verdient Geld mit Gelegenheitsjobs, oft auf Festivals. Drogen flankieren diese Jahre, bis er selbst die Reißleine zieht. In dieser Zeit beginnt er zu zeichnen und auch zu tanzen, entdeckt, wie sehr ihm seine Kreativität hilft. Tanz und Malen liegen für ihn nah beieinander. Auch viele seiner Bilder sind reine Bewegung, Dynamik, ausbrechende Formen, mal Wildheit, mal Rhythmus.

Aktiv in der „Alten Weberei“
Irgendwann Ende der Siebziger kehrt Charlie Zudrop nach Gütersloh zurück, arbeitet im Odeon, der Kult-Musikkneipe in Isselhorst, in der BAP noch vor kleinem Publikum aufgetreten sind und in der die ersten Meetings zum Erhalt des ehemaligen Fabrikgeländes der Weberei Greve&Güth als Bürgerzentrum stattfanden. Als die „Alte Weberei“ dann Anfang 1984 eröffnet wird, ist „Charlie“ auch da, macht sich mit allen möglichen Hilfsarbeiten nützlich und wird nach sechs Wochen fest angestellt. Er wird zu einem Gesicht der Szene, die damals noch nicht „Bürgerkiez“ heißt, aber alle Kiez-Merkmale mit sich bringt – ein Schlacks mit Streifenjeans und Kajal unterm Auge.


Music-Painting in der Weberei. Der junge Charlie B. Zudrop, sozusagen ein Gesamtkunstwerk.

Auch damals malt er schon bei jeder Gelegenheit, die Formate sind allerdings häufig ausladender. Die Farben explodieren, wenn Zudrop während der Weberei-Konzerte zum Rhythmus der Bands malt – und der Künstler wird selbst zum Teil des Kunstwerks. In der damaligen Weberei-Galerie hat er auch seine erste Ausstellung. Einige weitere sind im Lauf der Jahrzehnte hinzugekommen: bei Art Colori, im Verhoffhaus, im Bleichhäuschen in Rheda-Wiedenbrück, im Sozialzentrum der LWL-Klinik oder im März dieses Jahres im Kreishaus.

Motive wie Gedanken
Der Zuspruch, den er bei diesen Gelegenheiten bekam, habe ihm gutgetan, sagt er. Aber das gelte in gleicher Weise auch für die Gespräche, die beim Malen entstehen, denn so ziemlich jeder Ort ist für Charlie Zudrops Kunst geeignet:  in Kirchen, im Krankenhaus, im Rathaus, am Dreiecksplatz, in der Stadtbibliothek hat er schon gemalt, im Café „Röstwert“ an der Berliner Straße hat er eine feste Anlaufstelle.

Von den großen Formaten hat er sich längst verabschiedet: »Dazu fehlt mir die Kraft. Die schlafen jetzt im Keller.« Din-A-4 oder Din-A-3 Formate sind heute die Grundlage für seine Kunst – Seiten aus den Büchern und Mappen, die er immer dabeihat. Die Motive sind so weit wie die Gedanken ihres Schöpfers. Ihre Interpretation liegt im Auge des Betrachters: auf ein Minimum reduzierte Schlangenwesen, organische Formen mit einer dunklen Mitte, Konstruktionen, die an fantastische Maschinen erinnern. Ein paar Favoriten kristallisieren sich dennoch aus dieser Vielfalt heraus: knorrige Bäume, die ihren eigenen Wurzeln nahekommen, geheimnisvolle Masken oder Vogelwesen tauchen in Charlie Zudrops Kosmos immer wieder auf. »Manchmal stoße ich beim Malen auf urige Sachen, die tief in uns Menschen drin sind,« kommentiert er.

Unterwegs mit transportablem Atelier
Bleistift, Kugelschreiber, Pinsel und mindestens ein Töpfchen Temperafarben gehören zum transportablen Zudrop-Atelier. Aber auch mit Kaffee hat er schon gemalt. Der Pinsel kommt mit den Tempera-Farben zum Einsatz, nicht pastos, sondern in geradezu zarter Transparenz. Die Bilder sind datiert und häufig fügt Zudrop auch Kommentare hinzu. Kunst als Tagebuch. In den Kladden und Mappen haben sie ihre Heimat. Rund 450 davon hat er so im Lauf der Jahrzehnte geschaffen. Ja, er verkaufe auch, sagt Charlie Zudrop auf Nachfrage und er verschenke vieles. »Aber eigentlich konnte ich mich nie gut trennen von meinen Bildern.« Dann habe er Kopien davon gemacht. »Und das ist dann in Ordnung.«


Wiederkehrendes Zudrop-Motiv: Bäume.


Ein Thema, das ihn fasziniert: Masken.  

Im März diesen Jahres hat der Freundeskreis von Charlie B. Zudrop eine Ausstellung im Kreishaus kuratiert und einen sehenswerten kleinen Katalog dazu in limitierter Auflage herausgegeben. Mit klugen Beiträgen von Dr. Silvana Kreyer und Wolfgang Hein charakterisiert er Kunst und Mensch. Bleibt am Ende nur noch eine Frage, die dort auch nicht beantwortet wird: Was bedeutet das „B.“ im Namen? Vielleicht doch eine winzige Eitelkeit eines Menschen, der so knorrig ist wie die Bäume, die er malt und so sanft wie die Linien, die er findet?

→ Auszug aus der gt!nfo (Ausgabe September 2024)

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