16. Dezember 2024 / Wusstest du das?

Paradies aus Vinyl

Thomas Dönig hat sich mit seiner "Plattenhalle" einen Traum erfüllt

von Susanne Zimmermann (Text und Fotos), Auszug aus der gt!nfo (Ausgabe Dezember 2024)

So kann ein Paradies aussehen! Thematisch und alphabetisch wohlgeordnet entfaltet sich in eng aneinander gereihten Kästen der Soundtrack deines Lebens. Aus einer Box, einer echten großen schwarzen Box, am Rand dieser unendlichen Plattenlandschaft weht ein leicht psychedelischer Klang herüber, den du schließlich als „Aqualung“ wiedererkennst, dem Jethro-Tull-Wassermann aus den Siebzigern.

Vor dem geistigen Auge feiern Kellerfeten, Discokugeln und der Geschmack eigenartiger Cocktail-Mischungen mit der Grundsubstanz Blue Curacao Wiederauferstehung. Willkommen in der „Plattenhalle“ an der Verler Straße 1! Thomas Dönig, den alle Tom nennen, hat sich auf dem „Kultkram-Gelände“ sein Paradies in Vinyl gebaut. Rund 15 000 LPs, Singles und Picture Discs haben hier ihren Place to be gefunden, umrahmt von ein paar Anlagen mit und ohne Kassetten-Deck (!), von Musicbox, Röhrenradio und anderen heiß begehrten Exoten aus der Beatbox-Vergangenheit wie dem tragbaren Philips-Plattenspieler im UFO-Design.

Knack und Rausch sind Vitalzeichen
Dönigs Sammelleidenschaft hat auch genug Stoff für die Deko hergegeben: Afri-Cola-Schild und Bogenlampe, Clubsessel und Porträtseiten aus der BRAVO und dem Musikexpress heimeln die Nach-68er direkt ins „Yesterday“. Aber auch für die „Generation Nirvana“ macht Dönig, selbst Jahrgang 1969, reichlich Angebote. Punk, Krautrock, Jazz, Heavy Metal, Rock und Pop aus den Sechzigern und Siebzigern, ein bisschen Folk und ein bisschen „Schlager“ leben friedlich nebeneinander und mit jeder Runde auf dem Plattenteller leben sie wieder auf.

Die Qualität ist unterschiedlich, aber im Großen und Ganzen geprüft. Die Plattenhalle hat ausschließlich Second Hand auf Lager, aber eine „LP-Waschanlage“ säubert Gebrauchsspuren. Außerdem haben die potenziellen Käufer die Möglichkeit, ihr Objekt der Begierde direkt in der Clubsessel-Ecke per Kopfhörer auf seine Spielbarkeit hin zu checken. Aber mal Hand aufs Herz: Sind nicht Knack und Rausch für einen echten Vinyl-Fan Vitalzeichen, die den Charakter einer Langspielplatte erst ausmachen?

Solche und viele andere Geschichten hat Tom Dönig immer wieder gehört, seit er vor etwa zwei Jahren mit seiner „Plattensammlung“ in die Halle einzog, die zuvor „Kultkram“, dieser unglaubliche Second-Hand-Markt, mitgenutzt hatte. Platten von Pink Floyd, von Oscar Peterson oder von Kraftwerk oder das weiße Album der Beatles sind Gesprächs-Öffner, die bei der Musik beginnen und nicht selten bei Lebensgeschichten enden. Angesichts der Überfülle des Angebots musste sich der eine oder andere Kunde erstmal sammeln, bevor er zum stundenlangen Stöbern wieder in der Lage war. »Mauerfall, den ersten Gang ins KaDeWe und das Plattenparadies nannte ein Käufer aus Berlin-Ost in einem Atemzug, um das Gefühl zu beschreiben, das ihn angesichts dieses El Dorados überwältigte. Wer je die Bedeutung von „Westplatten“ in der damaligen DDR ermessen hat, kann diesen Dreiklang vielleicht nachvollziehen.«

Leidenschaft zum Beruf gemacht
Die Resonanz trifft Tom Dönig mitten ins Herz. Schließlich hat er mit der Plattenhalle seine Leidenschaft zum Beruf gemacht und für dieses große Abenteuer eine sichere Stelle im Rechnungswesen bei Bertelsmann aufgegeben. »Ich hab mir meinen Traum vom eigenen Plattenladen erfüllt,« sagt er.  Einen Traum, den er seit früher Jugend träumt. Hineingewachsen ist Tom Dönig allerdings eher in die Zeit, als LPs aus den heimischen Regalen verbannt, eingemottet, entsorgt und durch kleine silbrige Compact Discs ersetzt wurden. Aber wie zum Trotz hat Dönig die Liebe zu den schwarzen Scheiben sorgsam gepflegt, zum einen aus ganz praktischen, nämlich finanziellen Gründen: „Die Platten waren einfach billiger als die CDs“. Zum anderen aus Affinität zur Gestaltung: Die Plattenhülle als Kunstwerk – diese Sicht auf die Dinge hat sich Tom Dönig schon früh erschlossen.

Wie die meisten anderen LP-Aficionados kommt er ins Schwärmen, wenn er außergewöhnliche Plattencover beschreibt, so zum Beispiel Jethro Tulls Doppel-LP „Stand Up“, aus der beim Aufklappen  die Band als dreidimensionales Pop-up-Grafik springt. Die Produktion dürfte im Erscheinungsjahr einigermaßen aufwändig gewesen sein. Andy Warhol hat unter anderem für Jazzgrößen wie Artie Shaw die Plattenhüllen gestaltet, das Beatles-Cover von „Seargent Peppers Lonely Hearts Club Band“ ist heute ebenso Legende wie „Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd. Legendäre Cover wie „Sticky Fingers“ von den Stones  mit der Jeans-Silhouette inklusive Original-Reissverschluss in der Mitte, Erstpressungen oder Kleinstauflagen sind heute begehrte Sammlerstücke und werden zum Teil im Netz mit vierstelligen Preisen aufgerufen.  „Und es gibt auch diejenigen, die gar keinen Plattenspieler mehr haben, sich aber die LP wegen des Covers kaufen,“ erzählt Dönig. Und diejenigen, die doppelt zulangen: Eine zum Abspielen, und eine zweite, um die Hülle an der Wand zu präsentieren.

Ja, auch das Netz ist voll von Angeboten aus der großen weiten Welt der Schallplatte, die Anfang der Neunziger mausetot schien, sich aber bereits im ersten Jahrzehnt der 2000er-Jahre wiederbelebte. Doch wieviel inspirierender ist es, sich einzulassen auf die Kisten und Kästen, die bebilderten Zeugen einer Zeit, die für die Käufer mit prägenden Erfahrungen verbunden ist, die Erinnerung an Namen, Nachrichten und Konzerte, an durchtanzte Nächte und erste Lieben!

Aber auch ganz lokale Aspekte tun sich auf bei der Recherche in Tom Dönigs Plattenhalle an der Verler Straße. In einer Kiste mit der Aufschrift „Folk“ finden sich unter anderem Scheiben von den Dubliners, von Tucker Zimmerman oder den „Folk Friends“ mit einem Cover der Grafikerin Gertrude Degenhardt – ganz so als habe jemand die Reste aus dem Gütersloher Folkclub zusammengetragen. Und mittendrin im Karton steckt eine LP von „Kneipenfolk“, dem damals in Gütersloh weltbekannten Duo Gerry Spooner und Volker Wilmking. Sofort springt das Kopfkino wieder an und denkt sich zurück in eine Zeit, als der Gütersloher Sommer noch jung, im Lütken Winkel Live-Musik gemacht wurde, Udo Jürgens in der Sporthalle des heutigen Carl-Miele-Berufskollegs auftrat und dir bei Birth Control die Ohren abflogen. „Kneipenfolk“ soll jetzt ein Freund zum runden Geburtstag bekommen, auch so einer mit einer Riesen-Plattensammlung und 100 Punkten auf der Nostalgie-Scala. Aber Spooner und Wilmking fehlte noch zu diesem Glück.

Plattenhalle, Verler Straße 1, Gütersloh
Öffnungszeiten: 
Montag: 14:00 bis 18:00 Uhr
Mittwoch: 14:00 bis 18:00 Uhr
Samstag: 09:00 Uhr bis 16:00 Uhr
Telefon: 0176/31316213

→ Auszug aus der gt!nfo (Ausgabe Dezember 2024)

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