25. April 2024 / Allgemeines

Gericht hebt historisches Urteil gegen Harvey Weinstein auf

Das Urteil gegen Filmmogul Weinstein war 2020 ein Meilenstein der Rechtsgeschichte. Nun gab ein Gericht überraschend seinem Einspruch statt. Freikommen wird der 72-Jährige vorerst aber nicht.

Ein Gericht in New York hat der Berufung Harvey Weinsteins stattgegeben.
von Benno Schwinghammer, dpa

Völlig überraschend hat ein Gericht in New York die historische Verurteilung des ehemaligen Filmmoguls Harvey Weinstein wegen Sexualverbrechen aus dem Jahr 2020 aufgehoben. Die Juristen am Berufungsgericht der US-Ostküstenmetropole widerriefen damit einen der aufsehenerregendsten Rechtssprüche der vergangenen Jahre. Der Fall hatte damals die MeToo-Bewegung maßgeblich mit ausgelöst. Weinstein bleibt aber wegen einer weiteren Verurteilung in Haft.

Grund für die Aufhebung ist laut den Richtern ein Verfahrensfehler: Die Anklage stützte sich damals im Prozess auch auf Zeugenaussagen, die nicht Teil der Anklage waren. «Wir kommen zu dem Schluss, dass das erstinstanzliche Gericht fälschlicherweise Zeugenaussagen über nicht angeklagte, mutmaßliche frühere sexuelle Handlungen gegen andere Personen als die Kläger der zugrunde liegenden Straftaten zugelassen hat», schrieb der Vorsitzende Richter und bescheinigte dem damaligen Richter James Burke schwere Verfahrensfehler. Die Entscheidung der sieben Richter fiel mit 4:3 denkbar knapp aus.

Bezirksstaatsanwalt entscheidet über Einleitung von neuem Verfahren

Nach Angaben der «New York Times» muss nun Manhattans Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg entscheiden, ob er ein neues Verfahren gegen Weinstein einleitet. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte gegenüber dem Magazin «The Daily Beast», man werde «alles in unserer Macht Stehende tun, um diesen Fall erneut zu verhandeln». Weinstein sitzt in einem Gefängnis im Bundesstaat New York.

Nach Aussage von Weinsteins Anwalt Arthur Aidala soll sein Mandant nun näher an die Metropole verlegt werden. Er könne zurück vors Gericht kommen und seine Sicht der Dinge darlegen: «Er brennt darauf, seine Geschichte vom ersten Tag an zu erzählen.» Aidala betonte, sein Team habe von Anfang an «gewusst, dass Weinstein keinen fairen Prozess bekommen hat».

In der Entscheidung zur Aufhebung des Urteils von 2020 wird die Zulassung der zusätzlichen Zeuginnen als schwerwiegender «Fehler» bezeichnet: «Die einzigen Beweise gegen den Angeklagten waren die Aussagen der Klägerinnen, und das Ergebnis der Gerichtsentscheidungen bestand einerseits darin, ihre Glaubwürdigkeit zu stärken und den Charakter des Angeklagten vor den Geschworenen zu schmälern.»

Die Staatsanwaltschaft wollte mithilfe der weiteren Zeuginnen zeigen, dass die Taten Weinsteins einem wiederkehrenden Muster folgten. In dem aufsehenerregenden Prozess ging es im Kern um zwei Vorwürfe: Weinstein soll 2006 die Produktionsassistentin Mimi Haleyi zum Oralsex gezwungen und die heutige Friseurin Jessica Mann 2013 vergewaltigt haben.

Entsetzte Reaktion einer Oscar-Preisträgerin

Der erste Weinstein-Prozess markierte einen Meilenstein der Rechtsgeschichte - auch deshalb, weil die ehemalige Hollywood-Größe vor allem auf Basis der Aussagen von Zeuginnen für schuldig befunden wurde, obwohl er selbst stets seine Unschuld beteuerte. Materielle Beweise spielten in dem Verfahren eine untergeordnete Rolle.

Eine Reaktion kam von der Schauspielerin Mira Sorvino. Die Oscar-Preisträgerin («Geliebte Aphrodite») war eine der ersten Frauen, die dem US-Filmproduzenten sexuelle Belästigung vorgeworfen hatten. «Entsetzt!», schrieb die 56-Jährige auf der Plattform X (vormals Twitter). «Seit wann lassen Gerichte Beweise für Verhaltensmuster nicht zu, die frühere schlechte Taten belegen?»

Weinsteins Masche war es den übereinstimmenden Aussagen der Frauen zufolge, junge Schauspielerinnen unter der Vorgabe, er halte sie für talentiert und wolle ihnen bei ihrer Karriere helfen, in Hotelzimmer zu locken. Dort verlangte er dann demnach sexuelle Handlungen von ihnen. Der Staatsanwaltschaft zufolge nutzte Weinstein dabei seine herausragende Machtposition in Hollywood aus, um sich die Frauen gefügig zu machen. Als Produzent von Filmen wie «Pulp Fiction» oder «Gangs of New York» war er sehr erfolgreich, für «Shakespeare in Love» gewann Weinstein auch einen Oscar.

Zum Prozess kam Weinstein 2020 mit Rollator

Weinstein war bei dem Prozess in New York stets mit einem Rollator zum Gericht gekommen, was von Kritikerinnen und Kritikern als Versuch seiner Verteidigung gewertet wurde, ihn als schwach und wenig angsteinflößend darzustellen. Weinstein hatte als Geschäftsführer seiner Filmfirma Miramax den Ruf, ein äußerst kraftvolles und lautes, mitunter auch aggressives Auftreten zu haben.

Er wurde schließlich 2020 zu 23 Jahren Haft wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung verurteilt. In einem zweiten Strafprozess in Los Angeles, in dem es ebenfalls um Sexualverbrechen ging, kamen im Jahr 2023 weitere 16 Jahre Gefängnis dazu. 

Mehr als 80 Frauen hatten Weinstein sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Die Anschuldigungen gegen den Produzenten, im Herbst 2017 von der «New York Times» und dem Magazin «New Yorker» veröffentlicht, waren der Anfang der MeToo-Bewegung.

Der Beginn der MeToo-Bewegung

Überall auf der Welt erkannten viele Frauen und auch einige Männer ihre eigenen Geschichten in denen der mutmaßlichen Weinstein-Opfer wieder - sie begannen, diese Geschichten unter dem Schlagwort «Me too» («Ich auch») zu sammeln. Die MeToo-Bewegung hatte das Urteil gegen Weinstein gefeiert - aber auch kritisiert, dass er nicht in allen Anklagepunkten für schuldig befunden wurde.

Die MeToo-Bewegung wird als Treiber der globalen Gleichstellung von Frauen und Männer gesehen. Durch die internationale Debatte und die Verurteilung Weinsteins, der von vielen als Prototyp des übergriffigen Mannes gesehen wurde, wurden viele ungerechte und sexistische Verhaltensweisen in Gesellschaften hinterfragt. Schauspielerin Ashley Judd, die 2017 über Weinstein in dem Artikel der «New York Times» ausgepackt hatte, sprach bezüglich der Entscheidung des Berufungsgerichtes davon, dass diese «unfair gegenüber den Opfern» sei. «Wir leben immer noch in unserer Wahrheit. Und wir wissen, was passiert ist.»


Bildnachweis: © Mark Lennihan/AP/dpa
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