17. Mai 2021 / Allgemeines

Corona-Impfung bei Kindern - eine Risiko-Nutzen-Abwägung?

Auch für Kinder und Jugendliche sind Corona-Impfungen wohl bald verfügbar. Experten sehen das als Chance im Kampf gegen Corona. Sie müsse aber absolut sicher sein, wird immer wieder betont.

Das Impftempo in Deutschland hat sich zuletzt deutlich erhöht – und bald soll es auch für die Jüngsten schnell gehen.
von Josefine Kaukemüller, dpa

Das Impftempo in Deutschland zog zuletzt deutlich an - und bald soll es auch für die jüngsten Menschen ganz schnell gehen mit der Impfung gegen das Coronavirus.

Wohl noch im Mai will die europäische Arzneimittelbehörde EMA über die Empfehlung zur Zulassung des Impfstoffs von Biontech/Pfizer ab 12 Jahren entscheiden. Bislang gibt es in der EU für das Vakzin eine Zulassung erst ab 16, für jüngere Minderjährige gibt es noch keinen Covid-19-Impfstoff.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigt sich optimistisch: Die Über-12-Jährigen könnten, die Zulassung vorausgesetzt, schon im Sommer geimpft werden. Jüngere Kinder könnten bald folgen. Viele Experten sagen: Im Kampf gegen Corona kann das ein großer Schritt sein.

Die Impfung von Kindern sei bei der Bewältigung der Pandemie in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung, sagt Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko). Zunächst könnten besonders Kinder mit Vorerkrankungen geschützt werden - diese sollten nach einer Zulassung zuerst geimpft werden.

Nach aktuellem Kenntnisstand erkranken Kinder zwar dramatisch seltener schwerwiegend an Covid-19, entsprechende Verläufe sind aber nicht ausgeschlossen. Der Berliner Virologe Christian Drosten hatte im NDR-Podcast «Coronavirus-Update» kürzlich gesagt, dass eine Corona-Infektion möglicherweise bei Kindern nicht so harmlos sei wie teils in der Öffentlichkeit dargestellt. Noch wisse man nicht, wie es sei, wenn sich große Gruppen von Kindern ansteckten.

Weil Kinder zudem als mögliche Überträger des Virus an dessen Zirkulation beteiligt seien, spielten sie eine Rolle für die Herdenimmunität, erklärt Stiko-Chef Mertens. Es müsse zudem so wenig Virusvermehrung wie möglich geben - denn während dieser könnten potenziell gefährliche Mutanten entstehen.

Dennoch warnt die Stiko vor zu viel Eile: Vor einer generellen Impfempfehlung für Kinder steht laut Mertens eine sehr genaue Prüfung der Daten zu Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit der Impfung bei ihnen. Für sie brauche es unbedingt eine eigene Zulassung, betont Mertens, denn «Kinder sind keine kleinen Erwachsenen».

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) weist darauf hin, dass für Minderjährige ein Impfstoff nur zugelassen werden könne, wenn er auch mit ihnen erprobt worden sei. Üblicherweise arbeiteten sich die Hersteller mit ihren Studien zu immer jüngeren Altersgruppen vor, erklärt vfa-Sprecher Rolf Hömke. Bei Jugendlichen gestalte sich die Erprobung einfacher und schneller, weil sie in der Regel die gleiche Dosis erhielten wie Erwachsene. Bei jüngeren Kindern müssten hingegen teils unterschiedliche Dosierungen erprobt werden.

Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, kritisierte den Zeitplan von Bund und Ländern in der «Rheinischen Post» als «überambitioniert». Spahn zufolge planen die Länder bereits die Organisation der Impfungen. Voraussetzung sei die Zulassung. Die Kinderärzte würden einbezogen. Und eine verpflichtende Impfung werde es nicht geben, betonte der CDU-Politiker mehrfach.

Die Bundesregierung verspricht eine gründliche Prüfung der Corona-Impfung für Kinder. Nach der Notfallzulassung des Impfstoffs von Biontech/Pfizer in den USA solle es in Deutschland im Gegensatz dazu eine reguläre Zulassung geben, so Spahn. Bei vielen bleibt dennoch die Frage: Sollten Kinder, obwohl ihr Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf so viel geringer ist, geimpft und somit dem Risiko möglicher Nebenwirkungen ausgesetzt werden?

Dass Kinder wegen ihres besonders aktiven Immunsystems besonders heftig auf eine Impfung reagieren könnten, könne nicht ausgeschlossen werden, sagt Stiko-Chef Mertens. «Insgesamt ist auch ein etwas anderes Nebenwirkungsspektrum möglich.» Impfreaktionen seien bei jüngeren Erwachsenen bei Corona-Impfstoffen häufiger als bei älteren Menschen, so Mertens. Die immunologische Erfahrung mit anderen humanen Coronaviren sei bei Kindern wesentlich geringer.

Grundsätzlich sei bei Kindern nach einer Impfung «ein sehr guter Schutz bei sehr seltenen Nebenwirkungen» zu erwarten, ähnlich wie bei Erwachsenen, ist der Berliner Epidemiologe Timo Ulrichs überzeugt. Nach der Impfung seien auch bei Kindern leichte und vorübergehende Impfreaktionen wie leichtes Fieber, Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit möglich.

Dass Kinder heftiger auf den Impfstoff reagieren könnten als etwa junge Erwachsene, glaubt er nicht. «Und auch hier gilt, dass so etwas tolerabel ist angesichts der Vermeidung der eigentlichen Erkrankung», sagt Ulrichs mit Verweis auf die zwar sehr seltenen, aber möglichen schweren Erkrankungen und Langzeitfolgen bei Kindern. Wegen des geringen Risikos im Zuge einer Infektion sei aber eine besonders sichere Prüfung der Impfstoffe angezeigt.

Der Berliner Kinderarzt Jakob Maske weist ebenfalls darauf hin, dass für Jugendliche und Kinder genauestens geprüft werden müsse, welche Dosis notwendig ist, ob Nebenwirkungen auftreten können - und ob der Impfstoff die gleiche Immunität wie bei Erwachsenen hervorruft. «Für Kinder muss ein Impfstoff ganz besonders sicher sein», betont er. Selbst geringste Nebenwirkungen müssten ausgeschlossen werden.

Dass Kinder und Jugendliche heftiger auf Impfungen reagieren, lasse sich nicht pauschal sagen - oft vertrügen sie sie eigentlich sogar deutlich besser. «Aber auch hier muss man die Untersuchungen abwarten, ein mRNA-Impfstoff ist ja auch für Kinder etwas Neues», erklärt Maske. Vorschnelle Erwartungen, dass schon bald alle Kinder geimpft sein könnten, seien mit großer Vorsicht zu betrachten. «Das Wichtigste ist, dass wir einen zugelassenen, absolut sicheren Impfstoff haben, der auch die Stiko-Empfehlung hat. Erst dann impfen wir Kinder und Jugendliche.»

Treibender Faktor für die Impfung von Kindern solle nicht das Bedürfnis sein, Herdenimmunität herstellen zu wollen, betont Maske. «Das kann man nicht von ihnen verlangen. Die Kinder haben schon so viel zurückgesteckt, um die Erwachsenen zu schützen. Sie sollen geimpft werden, um selbst geschützt zu sein.» Dass durch eine weitreichende Impfung in der Altersgruppe dann unter Umständen die Herdenimmunität irgendwann greife, sei nur der positive Nebeneffekt.

In der Debatte gehe es bei den jungen Menschen auch um die viel diskutierten Erleichterungen für Geimpfte, sagt Maske. Familien machten sich beispielsweise bereits Gedanken, wie der Urlaub mit einem ungeimpften Kind aussehen könnte. «Hier werden die Kinder schon jetzt benachteiligt, was das Alltagsleben anbelangt», kritisiert der Mediziner. «Wir sind dafür, dass Kinder und Jugendliche wieder ihre Rechte erhalten - auch völlig unabhängig von der Impfung.»

Wenn es eine Impfzulassung für Kinder ab 12 Jahren gibt, könnte es beim Impfen altersmäßig schnell weiter rückwärts gehen, wie vfa-Sprecher Hömke sagt. Biontech/Pfizer haben demnach schon im März mit einer Studie mit Kindern ab 6 Monaten und bis unter 12 Jahren begonnen, in der verschiedene Altersgruppen unterschieden werden. Erste Ergebnisse für Kinder ab 5 Jahren könnten dem Hersteller zufolge im Sommer vorliegen.

Auch andere Impfstoffhersteller wie Moderna sind laut vfa bereits in klinische Studien mit Kindern und Jugendlichen eingestiegen. Hömke glaubt: «Noch im Laufe dieses Jahres kommen wir in die Situation, wo es, wenn alles gut geht, sowohl für die Jugendlichen als auch für die jüngeren Kinder zugelassene Impfstoffe geben wird - und zwar gleich mehrere.»


Bildnachweis: © Friso Gentsch/dpa
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